Metzler-AM-Analyst Jan Rabe warnt vor Klumpenrisiken bei der nachhaltigen Geldanlage.

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30.11.20
Asset Management

Das versteckte ESG-Risiko

Der Trend zur ESG-Integration in der Geldanlage ist ungebrochen. Jan Rabe, ESG-Spezialist bei Metzler Asset Management, fürchtet dadurch allerdings unerwünschte Klumpenrisiken.

Herr Rabe, das Thema ESG-Integration ist bei Asset Managern in aller Munde. Täglich gibt es Meldungen über neue nachhaltige Fonds oder andere Produkte. Sehen wir hier einen vorübergehenden Trend oder wird das bald der neue Standard sein?

Das wird absolut zum neuen Standard. Wir schätzen, dass der Anteil von nachhaltig investierten Vermögenswerten in diesem Jahr weltweit bei etwa 35 Prozent liegt. Wenn sich die Wachstumsraten der vergangenen 20 Jahre fortsetzen, wären wir in zehn Jahren bei 70 Prozent und das ist unserer Einschätzung nach noch eine konservative Prognose. In aktuellen Umfragen unter institutionellen Anlegern zeigt sich, dass mehr als drei Viertel der Befragten bis 2022 keine Produkte mehr kaufen wollen, die ESG-Vorgaben nicht erfüllen.

Es gibt keine einheitliche Definition von Nachhaltigkeit. Der Mangel an vergleichbaren Standards wird häufig als Hürde für Investoren gesehen. Die EU will Abhilfe schaffen und setzt unter anderem auf eine Taxonomie. Welchen Einfluss wird die Regulierung auf das Vorgehen der Vermögensverwalter haben?

Ich glaube nicht, dass sich viel ändern wird. Denn meiner Ansicht nach ist die Standardisierung in dem Segment schon sehr weit fortgeschritten. Vor allem die Nachhaltigkeitsagenturen und ESG-Ratinganbieter haben dazu beigetragen, die qualitative Diskussion über Nachhaltigkeit zu standardisieren. Zudem gab es viele Initiativen, damit Unternehmen in ihren Nachhaltigkeitsberichten vergleichbarer berichten. Hinzu kommt, dass viele Asset Manager mit diesen Daten ohnehin sehr ähnlich umgehen. Die Regulierung baut also in weiten Teilen auf bereits etablierten Werte- und Normenkonzepten auf.

Wie meinen Sie das? Jeder Asset Manager setzt doch auf eine eigene Nachhaltigkeitsstrategie. Auch die sind schwer vergleichbar.

Viele Asset Manager betonen, dass sie Daten von Drittanbietern oder ESG-Ratings lediglich als Grundlage verwenden und darüber hinaus ihre eigene Analyse machen. Wir beobachten jedoch, dass sich viele Vermögensverwalter sehr stark auf die Meinung externer Datenanbieter stützen.

Im passiven Produktbereich zeigt sich die Dominanz einzelner Ratinganbieter beispielsweise im nachhaltigen ETF-Segment, in dem aktuell 75 Prozent aller investierten Vermögenswerte auf die Indexfamilien und ESG-Bewertungen von MSCI zurückzuführen sind. So profitieren so die von Ratingagenturen als vorbildlich nachhaltig eingestuften Titel überproportional.

Im aktiven Bereich spielen Fondsbewertungsplattformen eine entscheidende Rolle, die mit ESG-Ratingagenturen kooperieren. Portfoliomanager sind so dem Anreiz ausgesetzt, Anlagestrategien verstärkt nach ESG-Ratings auszurichten, so dass im Wettbewerb um Anlagevermögen kein Nachteil gegenüber direkten Konkurrenten entsteht. Deshalb stellen sich viele sehr ähnlich auf – und das bringt Risiken mit sich.

Inwiefern?

Wenn Asset Manager ihre Portfolien in etwa gleich ausrichten, fließt das Kapital einer bestimmten Gruppe von Unternehmen zu. Je nach Branche, mangelt es allerdings oft an genügend Anlagemöglichkeiten, so dass einige wenige Unternehmen sehr stark profitieren. Folglich kommt es zu Konzentrationsrisiken, die aus meiner Sicht unterschätzt werden.

Wir haben dazu in diesem Jahr eine umfassende Analyse durchgeführt. Sie zeigt: In ESG-Portfolien hat sich ein ausgeprägter Konsens hinsichtlich der Allokation ergeben. Branchen wie beispielsweise Pharmazeutika, Energie oder auch Finanzen werden stark untergewichtet. Übergewichtet werden dagegen Versorger und Industrieunternehmen. Darüber hinaus sind Small- und Midcap-Unternehmen in der Betrachtung der ESG-Ratingagenturen grundsätzlich benachteiligt. Sie haben im Vergleich zu den Large Caps oft nicht die notwendigen Ressourcen, um im gleichen Umfang über ihre Nachhaltigkeitsleistung zu berichten.

All diesen Präferenzen liegt in Risikoprämien ausgedrückt vor allem eine Ausrichtung zu Grunde: ein Übergewicht von Qualitäts-Titeln und ein Untergewicht von Value-Titeln.

Dass Gelder aus bestimmten Branchen – wie etwa der Kohleindustrie – abfließen sollen, ist ja aber gerade der Zweck der nachhaltigen Geldanlage. Außerdem hat Ihre Analyse auch gezeigt, dass Unternehmen mit guten ESG-Bewertungen finanziell stabiler aufgestellt sind als schlecht bewertete, und auch in Bezug auf das Wachstum outperformen. Warum sehen Sie die Konzentration also als Problem?

Ich sehe die Gefahr, dass Vermögensverwalter die Risiken, die mit einer so hohen Konzentration von Kapital einhergehen, unterschätzen. Denn aufgrund der guten Performance der am besten bewerteten Unternehmen geht die Strategie derzeit noch gut auf. Wenn aber die makroökonomischen Treiber hinter den übergewichteten Branchen anfangen zu schwächeln, dann wird sich das sehr deutlich auf die Portfolien auswirken.

Außerdem muss man sich fragen, ob die Bewertungsprämien, die Unternehmen mit guten ESG-Noten bekommen, noch fundamental gerechtfertigt sind. Von 2007 bis 2017 lag im Europäischen Aktienmarkt die KGV-Prämie (Kurs-Gewinn-Verhältnis-Prämie) der als vorbildlich nachhaltig bewerteten Unternehmen gegenüber den Nachzüglern durchschnittlich bei etwa 20 Prozent. Mittlerweile sind wir schon bei 50 Prozent – Tendenz steigend.

Dieser Anstieg geht vor allem mit den signifikanten Kapitalzuflüssen in als nachhaltig deklarierte Finanzprodukte der vergangenen drei Jahre einher.

Wie sollen Vermögensverwalter denn stattdessen bei der ESG-Integration vorgehen, um diese Konzentrationsrisiken zu vermeiden?

Zunächst einmal muss man diese Risiken erkennen, entsprechende Prozesse im Portfoliorisikomanagement verankern und Investoren darauf hinweisen. Asset Manager müssen über diese Risiken aufklären, wenn die nachhaltige Kapitalanlage Bestand haben soll. Vor allem muss den Gefahren einer unreflektierten Anwendung von ESG-Ratings mit einer intelligenten Portfoliokonstruktion entgegengesteuert werden. Nur so können Asset Manager ihrer Treuhandpflicht gerecht werden.

Koegler[at]derTreasurer.de

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