Neben dem Lagermanagement hat Working Capital Management noch zwei andere Dimensionen: Kundenforderungen und Lieferantenverbindlichkeiten. Hier könnte das Treasury Mehrwert leisten.

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07.09.21
Cash Management & Zahlungsverkehr

Lasst uns endlich über Working Capital Management reden!

Working Capital Management rückt oft nur dann in den Fokus, wenn ein Unternehmen in die Krise rutscht. Viel zu selten wird gefragt, was das Treasury an Optimierung leisten könnte. Ansatzpunkte gibt es genügend.

So viel vorweg: In meiner aktiven Zeit bei Bayer hatten wir keine wirklich aktive Rolle beim Working Capital Management. Natürlich gab es Randbereiche, in denen wir unterstützt haben. Dazu zählten bei eingehenden Kundenzahlungen etwa bei der Auszifferung der offenen Posten mit Hilfe der Informationen aus dem Kontoauszug. Hier haben wir versucht, das Accounting zu unterstützen, um einen höheren Automatisierungsgrad zu erreichen.

Doch insgesamt hatte Working Capital Management im Treasury nie eine besonders große Bedeutung. Das dürfte zum einen daran liegen, dass die Freisetzung von Liquidität nur in Krisenzeiten in den Fokus rückt. Solange ausreichend Cash vorhanden ist und es sogar negativ verzinst wird, liegen die Prioritäten naturgemäß woanders.

Zum anderen haben Working-Capital-KPIs vermutlich weniger Relevanz für Aktionäre und Analysten. Entsprechend ist in normalen Zeiten die Attention des Top-Managements niedrig. Ich wurde jedenfalls nicht gefragt, was das Treasury eigentlich zum Working Capital beitragen könnte. Zugleich hatte ich auch in Gesprächen mit den meisten anderen Treasurern nicht das Gefühl, dass Working Capital Management für sie ein Bereich ist, in den sie sich aktiv einbringen.

Meines Erachtens wird viel zu wenig darüber gesprochen, was das Treasury leisten könnte. Die Potentiale sollten ausgelotet werden, denn Ansatzpunkte gibt es genügend. Dies gilt sowohl für Kundenforderungen („Accounts Receivable“ / „Days Sales Outstanding“) als auch für Lieferantenzahlungen („Accounts Payable“ / „Days Payables Outstanding“).

DSO: Zahlungsmethoden sind entscheidend

Schauen wir zunächst auf die Kundenforderungen: Wenn es um Forderungsverkäufe geht, dann ist das Treasury in aller Regel involviert. Beim Aufsetzen von Factoring- oder ABS-Programmen spielt die Finanzabteilung eine wichtige Rolle.

Doch auch darüber hinaus gibt es Möglichkeiten, Einfluss auf das Working Capital zu nehmen. In der Praxis werden die Zahlungsziele oftmals zentral verhandelt. Dabei spielen die Zahlungsmethoden aber leider eine untergeordnete Rolle. Aus Sicht des Treasury sind Scheckzahlungen, die gerade im US-amerikanischen Markt noch weit verbreitet sind, schlechter als Überweisungen und diese wiederum schlechter als Lastschriften. Würde der Vertrieb den Kunden Anreize geben, ihre Zahlungsmethode entsprechend zu ändern, wäre viel gewonnen.

„Meines Erachtens wird viel zu wenig darüber gesprochen, was das Treasury leisten könnte.“

Bei der Zuordnung der Zahlungseingänge lässt sich ebenfalls viel Effizienz heben. Accounting und Treasury sollten eng miteinander kooperieren, um den Automatisierungsgrad zu erhöhen und eine korrekte DSO-Performance zu zeigen.

Virtuelle Konten helfen bei der Zuordnung

Die technischen Möglichkeiten dafür sind im Zeitalter der Digitalisierung vorhanden: Die Idee der virtuellen Konten – also Bankunterkonten pro Kunde oder gar pro Rechnung – haben Banken genau aus diesem Kalkül heraus entwickelt. Diese Variante hatten wir mit dem Accounting evaluiert; sie beinhaltet jedoch auch Implementierungsaufwand.

Allerdings stehen sich die Verantwortlichen dabei manchmal selbst im Weg. Transparenz über die Auszifferungsquote pro Land, Bank und Kunde zu erhalten, ist sehr schwierig – als ob man fürchte, dass die eigene Arbeit als schlecht bewertet werde. Dabei heißt eine geringe Quote nur, dass der Prozess schlecht ist, nicht, dass jemand schlechte Arbeit leistet.

Transparenz ist ohnehin ein wichtiges Stichwort: „Working Capital Optimierer“ auf Kundenseite können schnell identifiziert werden, wenn man die entsprechenden Zahldaten auswertet. Schnell erkennt man dort etwa im Mengengeschäft diejenigen, die bei einer Fälligkeit am Monatsende gerne am ersten Arbeitstag des Folgemonats zahlen, weil sie noch nie darauf angesprochen wurden und dies als Grauzone zu ihren Gunsten sehen.

Days Payables Outstanding: Negativzinsen beachten

Auch auf der Seite der ausgehenden Zahlungen kann das Treasury unterstützen. Das betrifft etwa den Know-how-Transfer über Zinssätze. Es klingt trivial, aber die alten Formeln und Kennziffern für DPO sind nicht für negative Zinssätze gebaut worden. Der Ansatz, in Zeiten, in denen es der Cash-Zyklus erlaubt, früher zu bezahlen und damit negative Einlagezinsen zu vermeiden, scheint mir nicht sehr verbreitet zu sein.

Dabei brächte dies auch andere Vorteile mit sich: Man könnte einen Nachlass mit Lieferanten verhandeln oder die Beziehung zu wichtigen Suppliern stärken. Doch oftmals scheitert es an organisatorischer Ohnmacht: Die Accounting- und IT-Prozesse sind dafür nicht gemacht, Zuständigkeiten unklar.

„Es klingt trivial, aber die alten Formeln und Kennziffern für DPO sind nicht für negative Zinssätze gebaut worden.“

Shared Service Center sind keine Hilfe

Letztlich geht es immer wieder um die Frage: Wie viel ist es einem Unternehmen Wert, die Kennzahlen DPO und DSO zu optimieren? In Krisenzeiten, in denen Kreditgeber auf Liquidität schauen, ist der Druck das Working Capital zu optimieren höher. Allerdings dauert es auch bis entsprechende Maßnahmen greifen.

Generell entscheidend für den Erfolg ist nach meiner Wahrnehmung die Größe des Unternehmens und die Kultur der Zusammenarbeit zwischen den jeweils beteiligten Abteilugen. Der vermehrte Einsatz von Shared Service Centern hat aus meiner Sicht zu einer Aufspaltung von Prozessketten und Verantwortlichkeiten geführt, die einer zentralen Steuerung entgegenstehen.

Ziehen Vertrieb und Einkauf nicht mit am gleichen Strang und unterwerfen sich einer gemeinsamen Zielsetzung, ist jeder Versuch einer Effizienzsteigerung im Management von Kundeneingängen und Lieferantenzahlungen zum Scheitern verurteilt.

Redaktion[at]derTreasurer.de

Der Autor
Christian Held leitete von Oktober 1999 bis September 2020 die Treasury-Abteilung von Bayer. Seit dem vergangenen Herbst ist Held im Ruhestand, beschäftigt sich allerdings weiterhin regelmäßig mit Treasury-Themen.