Es waren gewaltige Wassermassen, die im Juli 2021 durch die Region Stolberg bei Aachen rollten. Die Flutkatastrophe richtete Milliardenschäden an und sorgte auch bei den dort ansässigen Unternehmen für erhebliche Komplikationen. „Aus dem etwa 100 Meter entfernten Bach wurde innerhalb von wenigen Stunden ein reißender Strom, der uns mit voller Wucht getroffen hat“, berichtet Interim-Treasurer Oliver Schulte, der in der Region gemeinsam mit Interimer Marc Pira für ein bekanntes Industrieunternehmen im Einsatz war. „Von der Bundeswehr kam dann die Entscheidung, dass das Personal das Gelände sofort verlassen muss“, erinnert sich Schulte.

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„Land unter“ im Treasury
Für das Zwei-Mann-Treasury des Unternehmens war die Flut - neben der allgemeinen Verwüstung - eine enorme Herausforderung. Denn wichtige Zahlungen an Lieferanten und Partner mussten ungeachtet der Situation weiterlaufen. Der Strom war aber abgeschaltet, die Server für mehrere Tage offline. „Wir hatten weder Zugriff auf das ERP- noch auf unser Treasury-System. Die ersten zwei Tage war da eine gewisse Dramatik drin“, erinnert sich Schulte.

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Treasury ohne Strom
Schulte und Pira mussten die Uhren einige Jahren zurückdrehen und wieder auf ältere Methoden zurückgreifen: „Man kann einen so hohen Digitalisierungsgrad haben, wie man möchte. Wenn die Server meterhoch im Wasser stehen, braucht man Telefonbanking und Fax“, sagt Treasurer Pira. „Da sind die Banken aber auch nicht mehr drauf eingestellt, was dann zu Verzögerungen führt.“ Einige Kreditinstitute zeigten sich in der Ausnahmesituation flexibler als andere, berichten die Treasury-Spezialisten. Schulte erinnert sich etwa, dass er in einem Fall nur noch per SMS mit dem Firmenkundenbetreuer kommunizierte und auf diese Weise eine Auszahlung vorab formlos anwies. „Wir brauchten ja dringend Bargeld, um die Hilfskräfte und das Material bezahlen zu können“, so Schulte.
Problematisch war auch, dass die Poststelle betroffen war. „Es ging keine Post rein oder raus, wir hatten einen gewissen Verarbeitungsstau“, sagt Schulte. Letztlich habe man alle Bankunterlagen wiedergefunden. Glück im Unglück: Die Flut sei Mitte des Monats gekommen und somit hätten die Gehälter nicht zur Auszahlung gestanden. „Das wären ein paar Tausend Überweisungen gewesen. Das händisch auszuführen wäre schwierig geworden“, sagt Schulte. „Vom Timing her hat es gerade noch gepasst, dass wir wieder auf unsere Systeme zugreifen konnten.“
„Wenn die Server meterhoch im Wasser stehen, braucht man Telefonbanking und Fax.“
Interim-Treasurer packten mit an
Für beide Treasurer ging es in der Zeit aber nicht nur um Finanzthemen. Denn die Unternehmenszentrale stand komplett unter Wasser, weshalb die Manager selbst mit anpackten. „In einer solchen Situation denkt man nicht über Arbeitszeitgesetze nach, wir haben von morgens bis abends mitgeholfen“, erinnert sich Pira. „Das war ein buntes Gewusel, jeder hat aufgeräumt. Der Zusammenhalt war wirklich beeindruckend.“ Die Szenerie habe an ein Kriegsgebiet erinnert, noch heute stünden verwahrloste Autos herum.
Die Geschehnisse haben Treasury-seitig zu einigen Lerneffekten geführt, wie die beiden Manager berichten: „Man hat einen anderen Blick auf die Krisenvorsorge. Man braucht Notfallzentren, wo den wichtigsten Mitarbeitern das Weiterarbeiten ermöglicht wird“, resümiert Pira.
Auch gespiegelte Server seien sinnvoll, damit es keinen Totalausfall gibt, wie er und sein Kollege Schulte ihn erlebt haben. „Man muss das operative Geschäft immer weiterführen können.“ Auch das Thema E-Signatur sei durch die Flutkatastrophe erneut in den Vordergrund gerückt, sagt Schulte. „Als Interim-Manager hatten wir Glück, dass wir schon auf den Unterschriftenkarten der Banken standen. Sonst hätten wir keine manuellen Überweisungen ausführen dürfen.“

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Kann man aus der Flut lernen?
Laut Pira und Schulte normalisierte sich der Betrieb im Treasury nach etwa einer Woche wieder. Das habe auch daran gelegen, dass durch die Coronakrise die Erfahrungen mit Remote Work schon vorhanden und viele Prozesse in den Vormonaten digitalisiert worden waren. Zudem habe man ein Shared Service Center in Osteuropa für die buchhaltungsrelevanten Themen.
Dieses konnte die Arbeit nach kurzer Zeit wieder aufnehmen. „Ohne die Pandemie wären wir niemals so schnell aus dem Krisenmodus gekommen“, ist sich Interim-Treasurer Pira sicher. „Wenn ich überlege, wie Unternehmen vor vier Jahren aufgestellt waren: Das wäre ganz anders ausgegangen.“ So paradox es klingt, hatte die Corona-Erfahrung am Ende etwas Gutes, wie sich in der Flutkatastrophe zeigte.
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