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22.01.21
Risiko Management

„Warenkreditversicherer bereiten mir Sorge“

In Sachen Risikomanagement waren Treasurer zuletzt stark gefordert. Carsten Linker, Vorstand beim Verband Deutscher Treasurer spricht im Interview über Bankenpolitik post Corona, die neue Relevanz von Warenkreditversicherungen und Corona-Lehren für das Währungsmanagement.

Herr Linker, die Coronakrise hält die Risikomanager seit nunmehr fast zwölf Monaten auf Trapp. Sie sind nicht nur Treasury-Chef des Holzverarbeiters Pfleiderer, sondern sprechen als Vorstandsmitglied des Verbands Deutscher Treasurer (VDT) auch regelmäßig mit Ihren Kollegen. Was bleibt aus Ihrer Sicht vom Krisenjahr 2020?
Da gibt es einiges. Eine der wichtigsten Erkenntnisse für mich ist aber, dass die Bedeutung des Treasury immens gestiegen ist. Durch die Coronakrise sind wir enger an das operative Geschäft herangerückt. Die Vertrauensbasis ist in allen Geschäftsbeziehungen enorm wichtig. Als Treasurer ist man der erste Verkäufer der Unternehmensbonität. Diese Vernetzung mit dem operativen Geschäft wird bleiben – und das ist gut so.

Haben Sie ein Beispiel dafür?
In meinem Fall war es beispielsweise so, dass ich nicht nur mit Banken, sondern auch mit wichtigen Kunden und Lieferanten telefoniert habe, um den Geschäftsverlauf während der Coronakrise transparent zu machen. Was für mich ein Signal der Stärke war, weil wir nach kurzem Dip im 2. Quartal schnell in eine starke Erholung drehen konnten und letztlich sogar 2020 besser abgeschnitten haben als im Vorjahr.

Um Liquiditätsrisiken zu senken, diversifizieren viele Konzerne ihre Finanzierungsquellen. So hat etwa Fraport gerade ein Commercial Paper Programm aufgelegt, Adidas hat ein externes Rating eingeholt, um flexibler am Kapitalmarkt zu sein - um nur zwei Beispiele zu nennen. Wie sieht es im deutschen Mittelstand aus? Ist der breit genug aufgestellt?
Aus Risikomanagement-Sicht ist es wichtig auch bei der Finanzierung nicht nur auf einem Fuß zu stehen. Da gibt es im Mittelstand sicher noch Nachholbedarf. Ich würde die Diskussion aber nicht auf die Kapitalmarkt-Komponente beschränken. Schließlich darf man sich auch nicht nur auf eine oder wenige Banken verlassen. 

Bleiben die Auslandsbanken Deutschland treu?

Das sehen einige Bankvertreter naturgemäß anders: Nicht selten ist nun zu hören, es sei gut, wenn man sich als Unternehmen auf wenige Kernbanken konzentriere. Nur als lukrativer Kunde könne man sicher sein, auch Kredit zu bekommen. Was entgegnen Sie?
Ich bin ein absoluter Verfechter des Hausbankenprinzips. Langjährige und vertrauensvolle Beziehungen sind ein Vorteil in Krisenzeiten. Dabei darf aber auf keiner Seite ein Abhängigkeitsverhältnis entstehen. Zudem müssen Unternehmen – genauso wie es Banken schon immer tun – das Kontrahentenrisiko bei der die Auswahl der passenden Partner im Markt berücksichtigen. Wenn eine künftige Konsolidierung des Bankensektors dazu führen sollte, dass einige Adressen dadurch stabiler werden, dann begrüße ich das sehr. Hinsichtlich der in den vergangenen Jahren erfolgten Markteintritte von ausländischen Banken ins deutsche Firmenkundengeschäft stellt sich die Frage, wie nachhaltig diese sind oder ob wir Rückzüge erleben werden.

Und, was glauben Sie?
Ich persönlich glaube, dass die großen europäischen Banken, die bereits vor Jahren mit Mittelstandsinitiativen in Deutschland gestartet sind, durch die Krise womöglich sogar noch gestärkt werden könnten. Die Banken, die hierzulande im kleineren Stil aktiv sind, dürften sich dagegen eher zurückziehen. Spannend wird auch sein, ob es im Landesbankensektor zur Konsolidierung kommt. Hier traue ich mir aber keine Prognose zu.

„Wenn eine künftige Konsolidierung des Bankensektors dazu führen sollte, dass einige Adressen dadurch stabiler werden, dann begrüße ich das sehr.“

Carsten Linker, VDT-Vorstand für Risikomanagement

Warenkreditversicherung rückt in Treasury-Fokus

Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis die Kreditausfälle steigen und die Bankbilanzen belasten. Wie besorgt sind Sie bei den Kontrahentenrisiken?
Im Frühjahr bei Ausbruch der Krise habe ich mir darüber deutlich mehr Gedanken gemacht als jetzt. Die Lage hat sich aus meiner Sicht im vierten Quartal beruhigt, das hat mich positiv überrascht. Wird es in den von der Pandemie betroffenen Branchen Ausfälle geben? Ja, natürlich. Sind die existenzbedrohend für die Banken? Das glaube ich inzwischen eher nicht, obwohl wir weiter mit Risikovorsorgen rechnen sollten. Deutlich mehr Sorgen bereiten mir die Warenkreditversicherer.

Inwiefern?
Als Euler Hermes im Herbst die Limite für zahlreiche Warenkreditversicherungen bis zum Jahresende befristet hat, hat mich das sehr gewundert. Das Geschäft von Versicherern besteht doch genau darin, Risiken zu übernehmen! Wenn man diese Versicherungen befristet, heißt das nichts anderes, als das man von seinem Grundgeschäft abkehrt. Das hat mir und vielen anderen Treasurer deutlich vor Augen geführt, dass Warenkreditversicherungen unbedingt stärker auf unsere Agenda gehören.

War das für Sie eine neue Erkenntnis?
Ja, denn Warenkreditversicherungen sind in ihren operativen Prozessen in der Regel im Rechnungswesen am Forderungsmanagement angeschlossen. Eine solche „Existenzbedrohung“ des Versicherungsschutzes war nicht abzusehen. Dabei kann der Bezug zur Finanzierung sehr unmittelbar sein. Beispiel Factoring: Wenn die Warenkreditkreditversicherung wegfällt, ist das Factoring-Programm in Gefahr, weil viele Factoringgesellschaften den Forderungsankauf an den Bestand einer Versicherung geknüpft haben. 

„Brauchen eine Diversifizierung bei Kreditversicherern“

Welche Schlüsse ziehen Sie daraus?
Wenn man die Stabilität eines Factoring-Programms beurteilen will, muss man sich auch genau mit der Wirkungsweise der Warenkreditversicherung auseinandersetzen. Und: Dass es auch bei Warenkreditversicherern eine Diversifizierung braucht. In diesem Zusammenhang zeigt sich auch, dass es nicht gut ist, wenn ein Anbieter den Markt dominiert. Eine weitere Erkenntnis ist, dass neben der Pflege von Bankbeziehungen oder Ratingagenturen, auch dieser Sektor Teil des Relationship-Managements im Treasury sein sollte. Deshalb haben wir das Thema auch im VDT auf die Agenda genommen.

Der Schutzschirm für Warenkreditversicherungen wurde inzwischen bis Juni 2021 verlängert. Dem Vernehmen nach sind nun viele Limite bis dahin befristet. Wie kann man sich als Unternehmen auf das absehbare Ende des Rettungsschirms im Sommer vorbereiten?
Die Portfolioüberprüfung der Warenkreditversicherungen wird bis auf weiteres zu geringeren Limiten führen. Man muss sich nach Alternativen oder Mischungen von Ansätzen umschauen. Dazu gehört erstens die Nutzung von Vorkasse als Risikoreduzierung. Zweitens kann man eine interne Kreditrisikoprüfung einführen, um die Bonitäten von Kunden selbst zu bewerten und Zahlungsbedingungen entsprechend der Einstufung gewähren. Das dürfte aber nur für große Unternehmen mit ausreichend Kapazitäten eine Option sein. Drittens kann man auch auf Bankgarantien setzen. 

Hedging: „Bei Optionen gibt es eine mentale Hürde“

Ein anderes Risiko-Thema war das Währungsmanagement. Wie sind Treasurer damit umgegangen, dass sich das abgesicherte Grundgeschäft zum Teil deutlich anders entwickelt hat als geplant, weil Aufträge weggebrochen sind?
In einigen Fällen war es so, dass das Grundgeschäft nicht komplett weggebrochen ist, sondern sich lediglich verschoben kann. Dann kann man Cash Flow Profile über Swaps in die Zukunft schieben. Das ist gängige Praxis, nicht nur in Krisenzeiten. Solche Anpassungen haben wir im Sommer verstärkt gesehen. Zudem werden bei Plan-Exposures regelmäßig die Sicherungsquoten im Zeitverlauf reduziert. Sobald die Risikoposition gar nicht mehr existiert, wird es auch zu Positionsauflösungen der Sicherungen gekommen sein. Und wenn auf Jahressicht mehr als die Hälfte des geplanten Geschäfts wegbricht, dann stellt die FX-Sicherung wohl das geringste Risiko da.

Optionsgeschäfte sind in Deutschland nicht besonders beliebt. Müsste es nicht eine Lehre aus der Krise sein, solche Geschäfte häufiger zu nutzen, weil sie mehr Flexibilität bieten?
Bei Optionen steht sofort ein Preis dabei, das ist auch eine mentale Hürde. Hinzu kommt, dass es beim Hedging im Wortsinne um Absicherung der Risikoposition geht. Das erreicht man sehr gut mit Forwards. Die Überlegung der Absicherung fängt beim Exposure an und sollte Risiko-bezogen sein. Danach kommen die Maßnahmen oder Instrumente in die Diskussion. Wenn die Option zum Risikoprofil passt, kann sie auch in die Abwägung. 

Welche Risikomanagement-Lehren sollten Treasurer aus dem vergangenen Jahr für 2021 ziehen?
Kommunikation und Transparenz sind das A und O. Denn die Krise und Marktunsicherheiten werden leider vorerst weitergehen. Wir sollten deshalb im stetigen Austausch mit unseren Finanzierungspartnern stehen. Es braucht ein konsistentes Kommunikationskonzept, denn in einer Krise sind vertrauensvolle Partner essentiell und es gibt nichts Schlimmeres als Überraschungen.

Buchholz[at]derTreasurer.de