Jochen Böhm, Regional Risk Underwriting Director Nordeuropa bei Coface, sieht keinen Bedarf für eine Verlängerung des Schutzschirms für Warenkreditversicherungen.

Coface

11.02.21
Risiko Management

So reagiert Coface auf die Coronakrise

Coface rechnet für 2021 nicht mit einer Insolvenzwelle. Warum ist das so? Und wie bereitet sich der Kreditversicherer auf das Auslaufen des Schutzschirms für Warenkreditversicherungen vor? Jochen Böhm, Regional Risk Underwriting Director, gibt Antworten.

Über den Gesamtverband der deutschen Versicherer (GDV) hatte die Kreditversicherer im Dezember noch begrüßt, dass die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht auslaufe, weil man dann zu marktwirtschaftlichen Prinzipien zurückkehre. Nun hat die Bundesregierung die Aussetzung aber unter gewissen Umständen erneut bis Ende April 2021 verlängert. Wie problematisch finden Sie das?
Wir bei Coface sehen die Verlängerung kritisch. Es wird für Gläubiger immer schwieriger zu erkennen, ob ein Geschäftspartner noch solvent ist. Wir sind davon überzeugt, dass es eine Marktbereinigung braucht. Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht gilt zwar nur für diejenigen Firmen, bei denen sich die Auszahlung von staatlichen Hilfen verzögert. Wie das in der Praxis ausgelegt wird, ist fraglich. In jedem Fall sind die Regeln inzwischen sehr unübersichtlich.

„Wir befinden uns im Grunde seit zwölf Monaten im Alarmzustand.“

Jochen Böhm, Risk Underwriting Director Nordeuropa, Coface

Der GDV rechnete Mitte Dezember mit einer „schnell steigenden Zahl von Insolvenzen“ für 2021. Wie bewertet Coface die Lage?
Insolvenzprognosen sind zur Zeit sehr schwierig, weil wir nicht wissen, wie sich die staatlichen Stützungsmaßnahmen entwickeln werden. Unsere Volkswirte haben ausgerechnet, dass basierend auf der Konjunkturentwicklung die Insolvenzen im vergangenen Jahr eigentlich um 9 Prozent hätten steigen müssen. Tatsächlich sind sie aber wohl um 15 Prozent gesunken. Das zeigt, wie verzerrt die Situation ist. Generell kann man aber sagen: Wir erwarten für 2021 keine Insolvenzwelle, sondern ein selektives Ansteigen der Insolvenzen mit unterschiedlicher Intensität in unterschiedlichen Branchen.

Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung?
Positiv stimmt uns, dass die Zahl der Nicht-Zahlungsmeldungen unserer Kunden nicht in der Breite steigt. Das bedeutet: Die allermeisten Unternehmen sind offensichtlich weiterhin in der Lage, ihre Verbindlichkeiten zu bedienen. Die Höhe der Nicht-Zahlungsmeldungen war und ist für uns immer ein wichtiger Frühwarnindikator. Hier sehen wir zwar steigende Zahlen, aber keine Welle.

Warenkreditversicherungen: Was passiert im Juli?

Auch im bei den Warenkreditversicherungen sind die Marktgesetze derzeit ausgehebelt: Der Bund kommt für Ausfälle bis zu 30 Milliarden Euro auf. Die Kreditversicherer haben sich im Gegenzug dazu verpflichtet, Deckungen aufrecht zu erhalten sowie große Teile der Prämien abzugeben. Diese Regelung, mit der Lieferketten geschützt werden sollen, wurde gerade bis Ende Juni verlängert. Wie bereiten Sie sich auf das Ende des Schutzschirms vor?
Wir befinden uns im Grunde seit zwölf Monaten im Alarmzustand. Wir haben unsere Kapazitäten im Risikomanagement aufgestockt. Zudem kontaktieren wir Unternehmen deutlich häufiger als vor Corona. Wir wollen so nicht nur Schadensfälle begrenzen, sondern uns auch ein aktuelles Bild von der Lage der jeweiligen Branche machen. Deshalb lassen wir uns regelmäßig Zwischenzahlen geben. Die allermeisten CFOs verhalten sich sehr kooperativ. Wenn der Schutzschirm ausläuft, wird es daher auch keinen harten Cut geben.

Ohne den Schutzschirm wären die Versicherer gezwungen gewesen, ihre Bilanzen zu schützen und möglicherweise Limits auf breiterer Front abzusenken oder Deckungszusagen ganz abzulehnen, hieß es im vergangenen Frühjahr. Die Gefahr sehen Sie also nicht für Juli?

Nein. Die drohende Unterbrechung von Lieferketten war im vergangenen Frühjahr die große Sorge, die uns alle zusammengeführt hat. Damals haben wir im Nebel gestochert, keiner wusste, welche Folgen die Pandemie für die Wirtschaft haben wird. Doch mit jedem Monat sehen wir klarer. Wir wissen jetzt, dass Hotels, Gaststätten und der stationäre Handel betroffen sind, während sich die Industrie schon wieder erholt.

Coface: Keine weitere Verlängerung des Schutzschirms

Dennoch gibt es wieder erste Stimmen von Maklerseite, die darauf hoffen, dass der Schutzschirm erneut verlängert wird. Ihre Wettbewerber Atradius und Euler Hermes hatten Anfang Dezember als die Einigung mit dem Bund durch war, ziemlich deutlich geäußert, dass sie keine weitere Verlängerung wünschen. Wie sieht Coface das?
Es ist nicht in unserem Sinne, den Schutzschirm erneut zu verlängern. Wir haben das damals gemacht, weil wir unser volkswirtschaftlichen Verantwortung gerecht werden wollten. Auch in einer Krise ist es aber unser oberster Auftrag, Risiken gemeinsam mit den Kunden zu steuern. Und es ist nicht im Interesse unserer Kunden, dass wir Limite künstlich aufrechterhalten, denn über den Selbstbehalt entstehen ihnen auch Schäden, wenn ein Abnehmer ausfällt. Aber: Die Lage kann sich ändern, wenn sich die Pandemie noch einmal zuspitzt – Stichwort Mutationen.

„Es ist nicht im Interesse unserer Kunden, dass wir Limite künstlich aufrechterhalten, denn über den Selbstbehalt entstehen ihnen auch Schäden, wenn ein Kunde ausfällt.“

Jochen Böhm, Coface

Haben Sie derzeit Limite an das Bestehen des Schutzschirms gekoppelt?
Bei bestimmten Unternehmen haben wir Kreditlimite bis Ende Juni befristet, das ist richtig. Das sind aber keine pauschalen Regelungen, sondern jeweils ganz individuelle Entscheidungen.

…anders als bei Ihrem Wettbewerber und Marktführer Euler Hermes, von dem bekannt wurde, dass er im Herbst Limite für ganze Ratingklassen befristete?
Ich möchte die Geschäftspolitik unserer Wettbewerber nicht kommentieren. Jedes Haus verfolgt seine eigene Risikosteuerung und Zeichnungspolitik. Wir setzen auf eine individuelle Betrachtungsweise, da die Länder, Branchen und Unternehmen auch ganz unterschiedlich betroffen sind. Hier waren die Voraussetzungen, eine Krise zu überstehen, von großen Differenzen geprägt. Gleichwohl muss ich sagen, dass ich nicht glücklich darüber bin, wenn ein Wettbewerber in der Öffentlichkeit schlecht dasteht. Letztendlich wird man wieder einen Gesamtblick auf unsere Branche werfen, sodass uns daran gelegen sein muss, professionell durch die Krise zu steuern.

Will Coface Marktanteile in Deutschland gewinnen?
Ich glaube, dass die Krise auch zu strukturellen Änderungen in unserem Portfolio führen wird: Viele Internetunternehmen wie Zalando oder Delivery Hero werden künftig an Bedeutung gewinnen. Ihre Geschäftsmodelle haben sich als in der Krise als sehr robust erwiesen. Unser Exposure im klassischen Handel wird dagegen runtergehen. Das passiert aber nicht von heute auf morgen.

Buchholz[at]derTreasurer.de

Warenkreditversicherungen gewinnen für das Treasury an Bedeutung. Wichtige Entwicklungen während der Coronakrise fassen wir auf der Themenseite Warenkreditversicherungen für Sie zusammen.