Corona treibt Euribor sprunghaft nach oben
Der Euribor hat sich in der Coronakrise vom neuen Referenzzins Estr abgekoppelt. Der reformierte Zinssatz stieg in den längeren Laufzeiten deutlich an, der Estr blieb dagegen auf einem Niveau.
Skandale rund um Libor und Euribor haben den Ruf der Referenzzinssätze schwer beschädigt. Die Reform ist in vollem Gange: Mit dieser Themenseite halten wir Sie über die Umstellung und die neuen Referenzzinssätze Estr und Co. auf dem Laufenden.
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Euribor, Libor und Co. spielen in der Finanzwelt eine entscheidende Rolle: In einer Vielzahl von Finanzprodukten werden diese Zinssätze eingebaut. Doch im Jahr 2011 erschütterte ein Manipulationsskandal das Vertrauen in die weitverbreiteten Referenzzinsen. In der Folge fiel die Entscheidung: Die Zinssätze müssen reformiert oder ersetzt werden. Verschiedene weltweite Großprojekt laufen derzeit.
Bei den Referenzzinssätzen Libor, Euribor und Eonia handelt es sich um sogenannte Interbankenzinssätze. Diese geben also zum Beispiel an, zu welchem Zins Banken sich untereinander Geld leihen. Dieser Wert wurde – oder wird zum Teil noch – aus den Einschätzungen von mehreren Banken gebildet, den sogenannte Panel-Banken. Die Werte, die diese Banken meldeten, mussten aber nicht auf echten Transaktionen beruhen, sie können auch auf Schätzungen basieren.
Und genau hier entstand das Problem: Im Jahr 2011 kam heraus, dass über 20 Banken die Zinssätze manipuliert haben. Dabei soll ein Schaden in Milliardenhöhe entstanden sein. Um dies künftig zu verhindern, wurde eine Reform der Referenzzinssätze angestoßen. Im Euro-Raum ist das mit der EU-Benchmark-Verordnung (BMV) im Jahr 2016 geschehen. Das Ziel: Die Zinssätze sollen robuster und weniger manipulationsanfällig gemacht werden.
In der Euro-Zone existiert neben dem Referenzzins Euribor der Übernachtzins Eonia. Beide Zinssätze entsprachen in ihrer ursprünglichen Form nicht den Regeln der Benchmark-Verordnung. Daher wurde eine Reform der Zinssätze angestrebt. Ein erster Versuch, den Euribor allerdings ganz auf eine transaktionsbasierte Berechnungsmethode umzustellen, war allerdings gescheitert. Das European Money Markets Institute (Emmi) unternahm einen zweiten Versuch und entwickelte eine hybride Berechnungsmethode für den Euribor.
Dieser Zinssatz wird nun auf Basis von tatsächlichen Transaktionsdaten und den Einschätzungen von Banken berechnet. Eine rein transaktionsbasierte Berechnung war aufgrund einer zu geringen Anzahl von Transaktionen nicht möglich. Nach der Reform entspricht der Zinssatz den neuen Regeln der BMV und kann somit weiter eingesetzt werden. Es gibt aber weiterhin kritische Stimmen, die monieren, dass der Zinssatz nicht rein transaktionsbasiert berechnet wird.
Anders sieht es bei dem Übernachtzinssatz Eonia aus. Dieser Zins wird mit Ablauf des Jahres 2021 eingestellt. Ersetzt wird er durch einen neuen risikolosen Übernachtzins, der von der Europäischen Zentralbank herausgegeben wird, dem sogenannten Estr (€str). Schon seit Oktober 2019 wird der frühere Eonia nicht mehr berechnet, seitdem wird nur noch ein Ersatzzinssatz unter dem Namen Eonia veröffentlicht, der aus dem Estr und einem fixen Aufschlag von 8,5 Basispunkten besteht.
Der Libor, der derzeit nach wie vor durch die Einschätzungen der Panel-Banken berechnet wird, wird nach dem Skandal nicht reformiert, sondern nach dem Willen der Londoner Finanzaufsicht Financial Conduct Authority (FCA) beendet. Eigentlich sollten die Zinssätze, die es für die Währungen Sterling, Euro, Schweizer Franken, US-Dollar und Yen gibt, Ende 2021 auslaufen. Für den Großteil gilt das Datum weiterhin, lediglich für den US-Dollar-Libor gilt eine längere Frist. Nur für die 1- und 2-wöchige Laufzeit des Zinses ist Ende 2021 Schluss – für alle anderen US-Dollar-Laufzeiten gilt als neue Deadline der 30. Juni 2023.
Für alle auslaufenden Libor-Zinssätze wurden in den jeweiligen Währungsräumen Ersatzzinssätze entwickelt. In Großbritannien ist es der Sonia (Sterling Overnight Index Average), in den USA den Sofr (Secured Overnight Financing Rate), in Japan der Tonar (Tokyo Overnight Average Rate) und in der Schweiz der Sonar (Swiss Average Rate OverNight). Für den Euro-Raum ist der neue Zinssatz der Estr. All diese Zinssätze haben gemein, dass es sich um risikolose Übernachtzinssätze handelt. Ein direktes Äquivalent für den 3-Monats-Libor gibt es beispielsweise nicht.
Dass Ersatzzinssätze für verschiedene Laufzeiten fehlen, beschäftigt den Finanzmarkt. Inzwischen werden sogenannte Compounded Rates veröffentlicht. Das bedeutet, dass rückblickend ein Zins für eine bestimmte Laufzeit erhoben werden kann. Ein solcher Compounded Estr wird seit April 2021 beispielsweise von der EZB berechnet. Die Treasury-Community hatte jedoch mehrfach darauf hingewiesen, dass der Einsatz solcher rückblickenden (backward-looking) Zinssätze etwa bei Finanzierungen für Probleme sorgen kann. Es erschwert beispielsweise die Liquiditätsplanung, wenn erst am Ende der Zinsperiode feststeht, welcher Zins zu zahlen ist.
Bislang sind noch nicht in allen Währungsräumen vorausschauenden (forward-looking) Laufzeit-Varianten entwickelt worden. Für den Sonia gibt es zwar eine solche Struktur, aber die Aufsichtsbehörden in Großbritannien haben bereits deutlich gemacht, dass sie den Marktteilnehmern eher einen Übergang auf die Compounded Rates empfehlen. Damit wäre der Euribor bislang der einzige weit verbreitete Zinssatz, der nach der vorausschauenden Methode funktioniert.
Zudem müssen sich Marktteilnehmer schon jetzt auch darauf vorbereiten, was passiert, wenn der Euribor einmal nicht mehr veröffentlicht werden sollte oder zeitweise ausfällt. Die Arbeitsgruppe der EZB hat dafür einige Fallback-Empfehlungen abgegeben. „Der Derivatemarkt wird künftig bei den Rückfallregelungen in der Euro-Zone auf dem (Compounded) Estr basieren, also einen rückblickenden Ansatz nutzen“, erklärt Jan Hartlieb, der als Geschäftsführer des Beratungsunternehmens SAM Sachsen Asset Management die Reform der Zinssätze eng verfolgt. „Es könnte daher problematisch sein, wenn auf der Finanzierungsseite als Rückfallposition weiterhin vorausschauende Zinssätze verwendet werden“, kommentiert er.
Auch wenn Fragen – etwa rund um die Rückfallregelungen – offen sind, ist mit der Reform des Euribors eine Großbaustelle für Treasurer weggefallen. Verträge, die auf diesen Zinssatz abstellen, können weiterlaufen. Bei allen Vereinbarungen, die auf einem Libor-Zinssatz beruhen, sind allerdings Umstellungen nötig. Zwar hat die Europäische Union mit einer Fall-back-Regelung für alle Verträge zwischen Finanzinstituten einen Blueprint für den plötzlichen Wegfalls eines Zinssatzes vorgegeben. Allerdings sollten Treasurer sich nach Ansicht von Tarek Tranberg, Experte für EU-Regulierung beim europäischen Treasury-Verband EACT, nicht auf diese Regelungen verlassen. Sie sollten stattdessen selbst prüfen, welche Lösung für sie am besten geeignet ist.
Mit der Umstellung von vorausschauenden Zinssätzen auf rückblickende Zinssätze müssen auch IT- und Treasury-Systeme angepasst werden. Auch diesen technischen Aufwand sollten Treasury-Abteilungen nicht unterschätzen. Ein erster Schritt für alle Treasurer ist jedoch die Prüfung aller Verträge daraufhin, ob ein von der Reform betroffener Zinssatz im Vertragswerk eine Rolle spielt.