Der Euribor hat auf die Coronakrise heftig reagiert. Beim Estr sieht es anders aus.

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16.09.20
Finanzen & Bilanzen

So reagieren Euribor und Estr auf die Krise

Die Referenzzinsen haben in der Krise eine ungewöhnliche Entwicklung genommen. ING-Experte Christian Fingerhut erklärt, was dahinter steckt.

Mit dem Ausbruch der Coronakrise ist der Euribor zwischenzeitlich sprunghaft angestiegen. Im März stand er zeitweise bei -0,16 Prozent – ein Vierjahreshoch. Doch das Blatt hat sich wieder gewendet, seit Wochen kennt der Referenzzins nur noch den Weg nach unten. Der Drei-Monats-Euribor liegt inzwischen bei etwa -0,48 Prozent. Der neue Referenzzins Estr, und damit auch der an ihn gekoppelte Eonia, haben sich dagegen in der Krise stabil gehalten, sie sind nur leicht gesunken.

„Vergleicht man den 3-Monats-Euribor mit dem 3-Monats-Estr-Swap (OIS), dann ergibt sich derzeit ein historisch niedriger Spread von circa 7 Basispunkten, was sehr ungewöhnlich ist“, kommentiert Christian Fingerhut, Director Financial Markets bei der ING.

Euribor im freien Fall

Wie erklärt sich der freie Fall des Euribor? Zu Beginn der Krise wurde der Anstieg als Stresssignal gedeutet. Der Bedarf an Liquidität war hoch, die Kosten für Cash stiegen - vor allem der Bankensektor in der europäischen Peripherie dürfte mit höheren Funding-Kosten konfrontiert worden sein. Andere sahen eher die hybride Berechnungsmethode als Ursache für die Abkoppelung der Zinssätze. Der Euribor beruht, anders als der Estr, nicht ausschließlich auf tatsächlichen Transaktionen.

„Allerdings hat sich der Euribor-Satz auch in vergangenen Krisen von den Overnight-Zinssätzen abgekoppelt“, argumentiert Fingerhut. Für Corporates könnte das ein Signal sein, dass, langfristig gesehen, die neuen Overnight-Zinssätze aufgrund ihrer Krisenresistenz bei Finanzierungen das Mittel der Wahl sein könnten, glaubt Fingerhut.

EZB-Politik bewegt den Referenzzins

Für den ING-Experten liegt der Grund für den Rückgang des Euribor in der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank. „Die EZB hat mit ihrem neuen Tender-Offer die Refinanzierung für Banken vereinfacht und noch einmal deutlich günstiger gemacht“, erklärt er. Im Zuge der Krise hat die EZB die Vorrausetzungen für die Targeted Long Term Refinancing Operations (TLTROs) erleichtert und den Zinssatz auf bis zu -1 Prozent gesenkt. „Banken haben von dieser Möglichkeit rege Gebrauch gemacht und mehr als 1,3 Billionen Euro von der Zentralbank geliehen“, so Fingerhut.

Die Tiefststände der Referenzzinsen werfen die Frage auf: Wie weit kann es noch gehen? „Ich gehe davon aus, dass wir zunächst auf diesem Niveau verharren werden“, meint Fingerhut. „Der negative Einlagenzins von 0,5 Prozent sorgt für eine Art natürliche Untergrenze“, argumentiert er. Dagegen könne eine Verschärfung der Pandemie wieder für einen Anstieg des Euribor sorgen – zumindest bis zur nächsten Reaktion der EZB.

Koegler[at]derTresaurer.de

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