Nach dem gestrigen Brexit-Votum ist ein harter Brexit weiterhin nur eine von vielen möglichen Optionen.

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16.01.19
Risiko Management

Das bedeutet das Brexit-Chaos für Treasurer

Das britische Unterhaus hat sich gegen den mit der EU ausgehandelten Brexit-Deal entschieden. Auf was müssen sich Treasurer nun angesichts des Chaos einstellen?

Es hatte sich bereits abgezeichnet: Das britische Unterhaus hat sich am gestrigen Dienstagabend gegen den von Premierministerin Theresa May mit der Europäischen Union (EU) ausgehandelten Brexit-Deal entschieden. Nur 202 Abgeordnete stimmten dafür, während 432 den Vorschlag abschmetterten. May hätte 320 Stimmen gebraucht, damit das Abkommen hätte ratifiziert werden können und ein „weicher Brexit“ mit einer Übergangsphase bis Ende 2020 möglich gewesen wäre.

Brexit-Votum: Bankenverband warnt vor Schockstarre

Die Reaktionen auf Mays Niederlage ließen nicht lange auf sich warten: „Das Votum ist ein harter Warnschuss für alle Beteiligten“, kommentierte Andreas Krautscheid, Hauptgeschäftsführer des Bankenverbandes, die gestrige Brexit-Entscheidung. „Eine Schockstarre darf sich aber niemand erlauben. Die Briten müssen jetzt klären, ob sie politisch noch handlungsfähig sind.“ Es brauche endlich Mehrheiten, um einen „fatalen harten Brexit zu verhindern“, sagte er weiter.

„Die Ablehnung des Austrittsabkommens durch das britische Parlament erhöht die Unsicherheit für alle wieder deutlich.“

Hubertus Väth, Frankfurt Main Finance

Ähnlich sieht es Hubertus Väth, Geschäftsführer der Finanzplatzinitiative Frankfurt Main Finance: „Die Ablehnung des Austrittsabkommens durch das britische Parlament erhöht die Unsicherheit für alle wieder deutlich. Kein Szenario – vom No-Deal-Brexit bis zu Neuwahlen oder einem zweiten Referendum oder dem Stopp des Brexit – kann derzeit ausgeschlossen werden. Aber die Briten sind am Zug.“ Es zeige sich aber auch, dass die Unternehmen gut daran getan haben, sich auf den schlimmsten Fall, den harten Brexit vorzubereiten, denn mit der Entscheidung bleibe er das wahrscheinlichste Szenario.

Bei einem harten, ungeordneten Brexit würde Großbritannien am 29. März ohne Abkommen und ohne Übergangsphase die EU verlassen. Wenn es tatsächlich so kommen sollte, würden die Briten aus dem EU-Binnenmarkt und der Zollunion austreten.

Märkte reagieren gelassen auf Ablehnung des Brexit-Deal

Die Märkte reagieren indes trotz der hohen Unsicherheit relativ gelassen auf die Ablehnung des Brexit-Deals. Der deutsche Leitindex Dax setzte seinen Erholungskurs am Mittwoch fort und legte zur Eröffnung 0,5 Prozent auf 10.946 Punkte zu, verlor im Laufe des Vormittags aber leicht und notiert in etwa auf Vortagsniveau.

Das Pfund Sterling behauptete seine Kursgewinne vom Dienstagabend und kostet 1,285 Dollar. „An der Börse glaubt die Mehrheit weiterhin an eine Lösung im Brexit-Chaos – auch wenn im Moment niemand weiß, wie diese Lösung am Ende aussehen soll”, sagte Portfoliomanager Thomas Altmann vom Vermögensberater QC Partners.

Exit vom Brexit nach wie vor möglich

Ein harter Brexit ist weiterhin nur eine von vielen möglichen Optionen. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) betont sogar, die Entscheidung des britischen Parlaments komme weder überraschend, noch habe sie die Wahrscheinlichkeit eines ungeregelten Brexits am 29. März 2019 substanziell erhöht.

„Ich erwarte, dass ein wirtschaftliches Chaos verhindert wird, zum Beispiel durch Einzelabkommen für eine Übergangsphase“, sagt DIW-Präsident Marcel Fratzscher. Ein zweites Referendum, und somit ein Verbleib in der EU, sei sogar ein Stück wahrscheinlicher geworden. Sollte es zum harten Brexit kommen, werde die deutsche Wirtschaft zwar getroffen, aber nicht übermäßig hart und nicht dauerhaft.

Auch Pieter Jansen, Seniorstratege Multi Asset bei NN Investment Partners, geht nicht davon aus, dass es zu einem harten Brexit kommen wird. „Es wäre nun sinnvoll, wenn die britische Regierung/das britische Parlament mit der EU einen Aufschub der Frist vereinbaren würde, vielleicht um ein weiteres Jahr. Wenn dies nicht gelingt, hätte die britische Regierung immer noch die Möglichkeit, die Auslösung von Artikel des 50 EU-Vertrags, der den Austritt eines Mitgliedsstaats aus der Europäischen Union regelt, zu widerrufen.“

Der Europäische Gerichtshof hatte Mitte Dezember 2018 geurteilt, dass die Briten einseitig, das heißt ohne Zustimmung der anderen EU-Länder, vom Brexit zurücktreten können. Bedingung hierfür ist ein dem vorausgehender „demokratischer Prozess“, beispielsweise ein zweites Referendum.

Deutsche und britische Wirtschaft sind eng verflochten

Die Gelassenheit der Börsen könnte aber auch schlicht die berüchtigte Ruhe vor dem Sturm sein: Manch ein deutscher Wirtschaftsverband sieht die Ablehnung des Brexit-Abkommens durch das britische Parlament als schlechte Nachricht für die Unternehmen hierzulande.

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) warnte vor dramatischen Folgen. „Unternehmen diesseits und jenseits des Ärmelkanals hängen weiter in der Luft. Ein chaotischer Brexit rückt in gefährliche Nähe“, sagte BDI-Hauptgeschäftsführer Joachim Lang am Dienstagabend in Berlin. Es drohe eine Rezession in der britischen Wirtschaft, die auch an Deutschland nicht unbemerkt vorüberziehen würde.

Denn das Vereinigte Königreich und Deutschland sind wirtschaftlich eng verflochten: Großbritannien war 2017 der viertgrößte Handelspartner der Bundesrepublik. In jenem Jahr haben hiesige Firmen Waren im Wert von 85 Milliarden Euro auf die Insel exportiert.

„Unternehmen, die bislang stillschweigend darauf gewartet haben, wie sich der Prozess entwickelt, müssen jetzt dringend Maßnahmen ergreifen, um ihre Situation auf dem britischen Markt zu verstehen und mögliche Schäden zu mindern“, rät deshalb John Hammond, Partner und Leiter der Brexit-Gruppe der Wirtschaftskanzlei CMS Deutschland. Das betrifft insbesondere die Lieferketten und die möglichen Auswirkungen von Zöllen.

Darauf sollten Treasurer sich einstellen

Eine Regierung im Chaos, hohe Unsicherheit, immenser Zeitdruck: Auch wenn die Entscheidung des Unterhauses nicht unerwartet gekommen ist, dürfte sie einigen Treasurern hierzulande Kopfzerbrechen bereiten. Eine Umfrage unter 65 Treasury-Chefs, die DerTreasurer noch im Herbst vergangenen Jahres durchgeführt hat, besagt, dass 71 Prozent der Befragten keinen Notfallplan für das Szenario haben, dass die geplante Übergangsfrist nicht zustande kommt. Treasurer sollten jetzt, wenn nicht schon geschehen, dringend überprüfen, wie sie von den verschiedenen Szenarien getroffen werden könnten.

„Unternehmen diesseits und jenseits des Ärmelkanals hängen weiter in der Luft.“

Joachim Lang, BDI

Dafür lohnt sich ein Blick auf die Kapital- und Devisenmärkte. Denn eine zentrale Frage wird in den kommenden Tagen und Wochen sein, ob Premierministerin Theresa May das Vertrauen endgültig verspielt hat: „Das unmittelbarste Risiko stellt nun das Misstrauensvotum gegen die May-Regierung dar“, sagt Karen Watkin, Portfoliomanagerin All Market Income bei Alliance Bernstein.

„Sollte May verlieren, werden Neuwahlen ausgerufen und es müsste binnen zwei Wochen eine neue Regierung gebildet werden.“ Ein Sieg der Labour-Partei könnte die britischen Anleihen- und Devisenmärkte erheblich unter Druck setzen, so Watkin. Die Unsicherheit und die damit verbundene Volatilität bleiben also auch durch die jüngste Abstimmung bestehen.

Im Hinblick auf Derivate hat die europäische Wertpapieraufsichtsbehörde Esma schon im vergangenen Herbst Vorkehrungen für einen ungeregelten Brexit getroffen. In solch einem Fall sollen Inhaber von OTC-Derivaten die Möglichkeit haben, diese kostengünstig von einer britischen auf eine EU-Gegenpartei zu übertragen. Die EU-Kommission hat im Rahmen ihres Notfallplans, den sie vor der Weihnachtspause noch schnell beschlossen hat, Übergangsregelungen für die Abwicklung von OTC-Derivaten zugestimmt.

Für Treasurer bleibt zudem die Frage bestehen, ob umgehängte Derivateverträge weiterhin ins Hedge Accounting einfließen können und wenn ja, unter welchen Umständen. Eine einheitliche Linie seitens der Wirtschaftsprüfer gibt es hierzu allerdings noch nicht.

Banken sorgen für No-Deal-Szenario vor

In der Bankenbranche stehen Brexit-bedingt erhebliche Veränderungen an. Nach einem ungeregelten Austritt Großbritanniens aus der EU dürfen Geldhäuser viele Dienstleistungen für europäische Unternehmen nicht mehr aus London heraus erbringen. Das trifft Treasurer nicht nur im Derivategeschäft, sondern auch im Cash Management, im Zahlungsverkehr und bei Krediten.

Sollte es wirklich zu einem No-Deal-Szenario kommen, wären solche Geschäfte von einem Tag auf den anderen nicht mehr möglich. Die Banken sind deshalb gefordert, sich neu aufzustellen. Viele von ihnen sind das Thema schon angegangen. Laut dem Bafin-Präsidenten Felix Hufeld sind gerade etwa 45 Finanzinstitute dabei, ihre Präsenz in Deutschland neu zu etablieren oder signifikant zu stärken.

So baut beispielsweise die US-amerikanische Großbank JP Morgan sein Transaction Banking am Standort Frankfurt aus. „Wir werden künftig alle Produkte, die wir heute aus London heraus anbieten, eins zu eins nach Frankfurt übertragen“, erklärte Andreas Windmeier, der den Geschäftsbereich Treasury Services Deutschland und Österreich bei JP Morgan leitet, im November vergangenen Jahres gegenüber DerTreasurer.

Auch die Deutsche Bank verlagert einen großen Teil ihres Euro-Clearing-Geschäfts von London nach Frankfurt. Standard Chartered hat die Main-Metropole bereits im Frühsommer 2017 als Standort für ihre neue Euro-Zentrale auserkoren.

Allerdings ist davon auszugehen, dass nicht alle Banken ihre Geschäfte bis Ende März auf eine Gesellschaft in den EU-27-Staaten verlagert haben werden, wodurch gerade mittelständischen Unternehmen ein Bankenengpass droht.

Folgen für Zahlungsverkehr bei ungeregeltem Brexit

Im Hinblick auf Zahlungsverkehr und Cash Management kann es einigen deutschen Unternehmen bei einem harten Brexit passieren, dass ihre britischen Töchter vom konzerninternen Cash Pool abgeschnitten werden. Die Folge: Die Treasurer müssten kurzfristig neue Konten eröffnen, was angesichts der dazugehörigen KYC-Checks nicht so schnell gehen dürfte.

Auf der Finanzierungsseite muss manch ein Treasurer ebenfalls mit Folgen rechnen. Gerade Großunternehmen, die in ihrem Konsortialkredit eine oder mehrere Banken haben, die ihr Funding bislang aus London heraus gestellt haben, werden Probleme bekommen, da dies nach einem harten Brexit nicht mehr möglich sein wird. Das dürfte die Kreditkosten in die Höhe treiben.

Paulus[at]derTreasurer.de

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